“Irgendwo sitzt immer ein Engländer und trinkt Kamillentee”

Zwei Monate voller Texte, verworfener Entwürfe, Mailwechsel, Lampenfieber, Schokokekse, Selbstvertrauen und -zweifel, Planungsattacken, zwei Monate voller Durcheinandergequassel, gegenseitigem Zuhören, Respekt, Lob und Kritik mündeten vergangenen Mittwoch, am 14. Dezember,  im ersten Schulslam, der im Treppenhaus des OSZ Orpund stattfand.
Es ist erstaunlich welche Kraft, welche Eigenverantwortung und Disziplin in einem chaotischen Haufen Neuntklässler stecken kann. Hätte mich jemand noch am Morgen des 14. Dezembers gefragt, welche Erfolgschancen ich der Abschlussveranstaltung einräumen würde, mir wäre wahrscheinlich nichts eingefallen, außer ein hilfloses Schulterzucken. Da wurden zwischen den Proben noch Texte um- und fertig geschrieben, falsche Dateien ausgedruckt, Kabelbrüche an Mikrophonen diagnostiziert, Youtubevideos gestreamt anstatt die Bühne herzurichten. Da wurde bis zum Anschlag geschraubt, gefeilt, gezittert, verhaspelt, durcheinander gerannt und gekreischt – und dann – eine letzte Lampenfieber mildernde Umarmung, ein letztes mutmachendes Schulterklopfen und während die Neonröhrenbeleuchtung im Schulhaus ausging und die Scheinwerfer die Bühne ins richtige Licht rückten, ertönte aus den Lautsprechern “Eye of the Tiger” und die beiden Moderatoren Micha und Remo bestiegen das zur Boxring-Bühne umfunktionierte Treppenhaus. Jeder einen Boxhandschuh und ein Mikrophon in der Hand, ein drittes baumelte vom Obergeschoss auf die Bühne hinab. Ein kurzes Kräftemessen auf den blauen Turnmatten, die zusammen mit dem die Bühne begrenzenden Tau für das richtige Ring-Ambiente sorgten. Applaus. Eine souveräne Anmoderation, ein Regelwerk im perfekten Freestyle. Selbst die beiden Opferlämmer Luca und Nico, deren Rap-Performance noch in der Generalprobe grandios nach hinten los ging, glänzten aufeinmal im richtigen Takt und brachten das Publikum in Schwung, während unten im Hobbyraum, der an diesem Abend als Backstage diente, die Slammer auf ihren ersten großen Auftritt warteten. Die Reihenfolge wurde ausgelost und das Nummerngirl durchschritt den Saal auf Highheels und mit einer tragbaren Schultafel in der Hand. Jolendes Gelächter, anerkennendes Pfeifen und nochmehr Applaus, als der erste Slammer Lucien die Bühne betrat, sich das von der Decke hängende Mikrophon schnappte und seinen Text “Facebook, Twitter und Co” selbstsicher und ohne das kleinste Anzeichen von Nervosität vortrug.

“Sagt der Vater zu seinem Sohn: Sohn, es gibt auch noch ein Leben außerhalb von Facebook. Sagt der Sohn: Schick nen Link!”

Ihm folgten seine MitstreiterInnen Nathan, Amina, Tim, Laura und die beiden Zweierteams bestehend aus Andri und Sandro sowie Melanie und Luana. Sie alle präsentierten eine bunte Mischung aus witzigen, performativen, nachdenklichen, klugen aber immer unterhaltsamen Geschichten und Gedichten. Die schwierige Aufgabe, die TeilnehmerInnen für das Finale auszuwählen, oblag nach der ersten Halbzeit dem Publikum, welches am Einlass mit Stimmzetteln ausgestattet wurde. Um die Entscheidungsfindung zu erleichtern und das Publikum während der Auszählung bei Laune zu halten, hatten die SchülerInnen ein Buffet mit Kuchen, Sandwiches und Mineral organisiert. Es war eine sehr knappe Entscheidung, so knapp, dass wir anstelle der geplanten drei Finalisten schlussendlich doch vier zurück in den Ring schicken mussten. Auf einem silbernen Tablett brachte unser Nummerngirl die Couverts mit den Namen der FinalteilnehmerInnen und die Preise auf die Bühne. Unsere beiden Moderatoren machten es noch einmal richtig spannend und schlussendlich waren es Nathan, Lucien, das Team Luana und Melanie sowie Amina, die mit einem zweiten Text erneut um die Gunst des Publikums und den finalen Sieg des Abends kämpften. Mit einem sehr anrührenden Text über eine alte Frau, die tagein, tagaus am Bahnhof auf einer Holzbank sitzt, war es letztendlich Amina, die sich den Siegerpokal in Form einer Flasche Rimuss im neuetikettierten Slam-Design sichern konnte. Jedoch gab es keine Verlierer an diesem Abend, sondern einen herzlichen Abschlussapplaus für alle Teilnehmenden, Moderatoren und das Organisationsteam, sowie Schokolade für alle, sogar für uns. Wir durften in erleichterte, freudig-erregte Gesichter blicken, die stolz waren auf ihre Leistung in den vergangenen Wochen und ganz besonders an diesem Abend. Und das zu recht.
Auch wenn es streckenweise nur allzu menschlich und sehr chaotisch zuging, waren es doch die kleinen Momente, in denen wir uns sicher waren, das richtige zu tun: eine Mail von einer Schülerin, knapp nach Mitternacht, mit einem ersten Flyerentwurf für die Veranstaltung, der erst ein paar Tage später hätte fertig sein müssen. Der faire Umgang miteinander bei der Textbesprechung, und die Bearbeitung der Texte, die daraufhin erfolgte und fruchtete.
Und schlussendlich war es der trockene Kommentar des Schülers Mario Basler, der uns lehrte, einfach mal entspannt zu bleiben und Vertrauen in das Gelingen der Veranstaltung zu entwickeln: “Irgendwo sitzt immer ein Engländer und trinkt Kamillentee.”

SlammerInnen und die Moderatoren
Die Siegerin des Abends: Amina Prada

…und hier gibt es weitere Fotos zu sehen!